Metadaten
Einer Erzählung wird heute kein Glauben mehr geschenkt, wenn es kein Foto dazu gibt. Im Englischen wird dies umgangssprachlich als POIDH (Pics Or It Didn’t Happen) bezeichnet. Bestes Beispiel dafür sind Nachrichtenportale, die neben prägnanten Titeln vor allem Bilder als Teaser einsetzen.
Willy Bretscher, ehemaliger Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung sah das 1957 noch ganz anders, als er sagte:
Bilder lenken vom Geschriebenen ab. Lesen und das Gelesene aufzunehmen, ist Arbeit. Die Bilder gehen leicht ein. Die Leute beschauen sie sich und glauben, sie seien informiert. Sie gewöhnen sich daran, nicht nachzudenken.Bretscher, 1957; zit. n. Hottinger, 2013
In der Eröffnungsrede zur World Press Photo 13 in Zürich machte Arnold Hottinger (2013), Journalist und ehemaliger NZZ-Nahostkorrespondent, deutlich, dass Bildinformation »sehr viel interessanter als eine Beschreibung« ist, jedoch stets nur »eine Gegenwart, keine Vergangenheit und keine Zukunft« zeigt. Aufgrund der räumlichen, zeitlichen und kausalen Beschränkung zeigten Bilder nur was ist, nicht warum es so ist.
Die Zusammenhänge, in denen eine Momentaufnahme steht, werden oft erst durch Bildunterschriften deutlich, die Meta-Informationen zu Personen, Ereignis, Ort und Zeit enthalten. Ohne Kontext können Fotos kaum als Kommunikationsmittel dienen und werden zur beliebigen Dekoration.
So wie William Henry Fox Talbot einst handschriftliche Notizen zu Ort, Zeit und Blickrichtung seiner Aufnahmen machte, sorgen heute Algorithmen für die korrekte Datierung unserer Fotos. EXIF-Daten hängen Informationen zu Kameraeinstellung, Aufnahmeort und -zeit an die Bilddatei an. Informationen darüber, wie, wann und wo das Bild gemacht wurde, werden nachvollziehbar an die Realität gebunden (vgl. Gerling, 2012). Vor allem georeferenzierte Fotos suggerieren Glaubwürdigkeit, wurden die Koordinaten doch von einem Sensor ermittelt und ohne Einfluss des Nutzers in die Bilddatei geschrieben. Während man die Uhrzeit der Kamera noch falsch einstellen kann, ist die automatisch erfasste physikalische Realität kaum zu manipulieren. Doch diese, wie auch alle anderen EXIF-Daten, sind nachträglich so veränderbar, wie die einzelnen Bildpunkte, aus denen sich ein Foto zusammensetzt. Dies stellt Journalisten vor die wichtige Aufgabe, Quellen und Metadaten zu durchleuchten, wie Jeff Jarvis (2013), Journalist, Professor und Verfechter des Open Web, festhält:
Journalists must add value to that flow of information, confirming facts, debunking rumors, finding sources, adding context and explanation, and, most importantly, asking the questions and getting the answers that are not in the flow.
Wie schon von Hottinger beschrieben, sind kausale, räumliche und zeitliche Zusammenhänge ein wichtiger Faktor – nicht nur im klassischen Fotojournalismus, sondern auch in einer Zeit, in der jeder zum Berichterstatter werden und ungehindert Fotos verbreiten kann. Im Fall von Sousveillance, die häufig mit dem Ziel betrieben wird, Ereignisse zu beweisen, ist es besonders wichtig, den Kontext der Fotos zu beachten und Metadaten nicht als wasserdicht hinzunehmen, zumal alle digitalen Informationen manipuliert werden können. Eine umso wichtigere Rolle spielen daher die Veröffentlichung in Echtzeit und die Verfügbarkeit mehrerer Bilder und Perspektiven.
Mehrere Perspektiven
Ein Beispiel aus dem Sport: In der Partie zwischen Sergiy Stakhovsky und Richard Gasquet am French Open 2013 entschieden die Linienrichter, dass Stakhovsky einen Ball knapp ins Aus geschlagen hatte. Der Ukrainer sah das anders. Nach dem Seitenwechsel nahm Stakhovsky sein iPhone und machte damit ein Foto der Spielfeldmarkierung. Da die Linie sauber und unverwischt war, sah er sich darin bestätigt, dass sein Ball zuvor nicht im Aus und der Entscheid der Richter damit falsch war. Er veröffentlichte kurz darauf das Bild, das keine Metadaten des Aufnahmezeitpunkts enthält, mit einem entsprechenden Kommentar auf Twitter. Eine Aufnahme des Fotografen Michel Spingler am Spielfeldrand zeigt,wie Stakhovsky am 27.05.2013 um 17:00:36 die Linie fotografiert. Daraus lässt sich schließen, dass das Bild, das der Spieler auf Twitter gepostet hat, tatsächlich in diesem Moment entstanden und folglich echt ist. Die verschiedenen Perspektiven und Metadaten ergeben, in logischer Kombination der Informationen, ein schlüssiges Gesamtbild. Aus einer Nahaufnahme des Spielfelds wird so ein glaubwürdiges Beweisstück des Ereignisses.
Das Beispiel zeigt: Je mehr Fotos eines Ereignisses von verschiedenen Teilnehmern gemacht wurden, desto wahrscheinlicher ist es, dass es so stattgefunden hat. Egal ob es sich dabei, wie eben beschrieben, um ein Ereignis im Sport, politischen Proteste oder den Einschlag eines Meteoriten handelt. Mehrere Ansichten fügen sich zusammen und erlauben, das Geschehene zu rekonstruieren. Das einzelne Bild, das durch die Einfachheit des Teilens und Duplizierens im Internet entmachtet worden ist, wird so zu einem wichtigen Stück im Mosaik der Wahrheit. ∞